Storytelling im Deutschrap - Warum OG Keemo nicht nur Geschichten erzählt
Der Musiker, um den es sich heute drehen soll, gilt als einer der besten Storyteller im Deutschrap. Er schafft es, in seinen Texten anhand eigener Erfahrungen und Erlebnissen Kritik an der Gesellschaft zu üben: OG Keemo.
Das Storytelling ist, erstmal losgelöst vom Rap, eine Erzählmethode, um sinnstiftende Geschichten zu erzählen. So kann der*die Hörer*in die Erfahrungen des erzählenden Individuums in die eigene Lebenswelt übertragen und somit den eigenen Horizont erweitern.
Im Hip-Hop steht das Storytelling für jede Form des erzählenden Raps und ist so alt wie das Genre selbst. Besonderes im Gangsta-Rap wird das Storytelling oft genutzt, um das harte Leben zwischen Drogen, Kriminalität und Perspektivlosigkeit näher zu beschreiben. Bekannte Beispiele des Subgenres sind "Children’s Story" von Stick Rick, "Just a friend" von Biz Markie oder "I got a Story to tell" von Notorious B.I.G. – sicher fallen euch noch sehr viel mehr Songs ein. Von eigenen Lebenserfahrungen, Gesellschaftskritik, Sex, Drogenhandel, aber auch philosophische und politische Themen: Das Storytelling bietet die Möglichkeit, all das zu verhandeln und den Rest der Welt daran teilnehmen zu lassen.
Das macht auch OG Keemo auf seinem Konzeptalbum "Mann beisst Hund", indem er die soziale Rolle anhand von drei Charakteren, Yasha, Malik und sich selbst, reflektiert.
Wie genau Keemo seine Geschichte von Aussichtslosigkeit des Ausstiegs aus dem Leben, in das man hineingeboren wird, schreibt, wird besonders im Song "Töle" deutlich. In diesem Song wendet sich Malik, der das vergangene Ich OG Keemos verkörpert, an Keemo mit dem Vorwurf, seiner alten Siedlung und damit seinem alten Leben den Rücken zugekehrt zu haben und nun sogar Profit aus den Storys zu schlagen.
Schon der Titel spricht Bände. Die Metapher des Hundes findet sich in Keemos aktuellen Album nicht nur im Titel "Mann beisst Hund", sondern auch in den Skits und den anderen Songs wieder. "Töle" als abwertender Begriff für einen Hund beschreibt die soziale Schicht, der sich Malik zugehörig fühlt. Der Hund wird immer wieder mit dem Menschen verglichen oder gleichgesetzt. Malik steht für den bösen Teil in Keemo, der sich von der Kriminalität wie magisch angezogen fühlt und setzt somit den Titel in dieser Facette seiner Persönlichkeit um.
Das lyrische Ich war mit den Möglichkeiten die das Leben mit sich gebracht hat, zufrieden und verspürt im ersten Part nicht das Bedürfnis, seine alte Siedlung zu verlassen und profiliert sich mit seinem Image als "Blocklegende" und seinem Ruf, der ihm vorauseilt.
"Denn dis hier ist meine Siedlung, vergesst das nicht
Ich bin, warum's hier hässlich ist
Ich bin der Grund, wieso die Kette unter deinem Sweatshirt ist
Ich bin, wieso das Licht der Unterführung erst um sechs erlischt"
Neben dem Vorwurf, die alten Geschichten vom Block in seinen Songs zu verwerten, prangert das lyrische Ich den neuen Lebensentwurf von Keemo an. So kommt es am Ende des ersten Parts zur Gegenüberstellung vom "Sandmann und Magentamann". Wer sind die Zwei?
Hierzu mal eine etwas gewagte Interpretation: Beim Sandmann könnte der Songtext Bezug auf die literarische Figur von E.T.A. Hoffmann nehmen, der dort für das Böse steht und den Protagonisten am Ende in den Wahnsinn treibt. Der Sandmann steht somit für die inneren Abgründe, also für Malik. Weiterhin wird in Hoffmanns Werk bis zum Schluss nicht deutlich, ob es den Sandmann wirklich gibt oder dieser nur Einbildung ist. So wird auch in OG Keemos "Töle" offengehalten, ob es sich um eine reale Figur oder um eine Projektion des abgelehnten Selbst handelt.
Bei Magentamann handelt es sich dann um OG Keemo, der zum Release seines Albums eine gleichnamige Actionfigur rausbrachte. Die farbpsychologische Bedeutungen der Farbe Magenta sind auf der einen Seite Dankbarkeit und Mitgefühl und auf der anderen Seite Arroganz und Herrschsucht. Diese beschreiben den inneren Konflikt in Keemo, zum einen die Zuneigung und Empathie, die er seinem alten Block entgegenbringt, und die ihm von Malik vorgeworfene Arroganz, die aus der Abkehr von der alten Siedlung resultiert.
Die erste Hook fasst die Vorwürfe und Ängste der Entfremdung noch einmal in der prägnanten Line zusammen:
"Du wirst nie nach Hause komm'n
Denn du bist weit weg von Zuhause"
Der zweite Part verfestigt zu Beginn die Vorwürfe, die Malik gegenüber OG Keemo äußert. Er beschreibt seinen Alterungsprozesse, den die anstrengenden Jahre im Block mit sich gebracht haben. Malik verweist in der Line "Es fing kurz zu regnen an / und du gehst" auf eine kleine Krise, die Keemo nicht in seinem alten Viertel durchstehen wollte; er hat sich stattdessen für ein Verlassen seines alten Zuhauses entschieden. Zudem ist die Line ein intertextueller Verweis auf das Lied „Petrichor“ auf demselben Album.
Die Enttäuschung über das Verlassen spiegelt sich auch in der Familie von Malik wider. In der Line "Meine mom wär mies enttäuscht, wenn ich ihr sage, wie du heute bist" wird gezeigt, dass das alte Umfeld von OG Keemo, trotz seines musikalischen Durchbruchs, lieber Keemo weiterhin in seinem vorherigen sozialen Milieu gesehen hätte. Damit wird die Schwierigkeit des sozialen Aufstiegs betont, da er keine Anerkennung oder Unterstützung aus seinem Umfeld erfährt.
Dann passiert ein entscheidender Bruch in Maliks Appell an Keemo. In der Line: "Und wenn du so vernünftig bist, dann sag mir, wieso hast du mich nicht überredet?“ Damit wird eine neue Sicht auf das Verlassen OG Keemos eingeleitet. Und es stellt sich die Frage: Wäre Malik gerne mitgegangen?
Weiterhin macht Malik auf die Unterstützung aufmerksam, die er Keemo in all den Jahren entgegengebracht hat. Er verweist anschließend auf seinen negativen Charakter in der Line:
"Ich bekam 'ne Rolle und ich ließ es zu
Ich nehm' was Unschuldiges und vergift' es, dis ist, was ich tu’“
Angelehnt an unsere These vom Anfang, dass es sich hierbei um den inneren Konflikt bei Keemo handelt, wird dieser hier noch einmal sehr hervorgehoben. Zum einen, dass Keemo an seinen eigenen Erfolg und Aufstieg glaubt, und zum andern, dass er noch immer einen Teil in sich hat, der sich selbst vergiften möchte und damit alles einreißt, was sich Keemo zunächst aufgebaut hat. Die hier angesprochene Rolle lässt sich auch auf die sozial feste vorgeschriebene Rolle übertragen, in die man hineingeboren wird. Dabei geht der Song sogar noch einen Schritt weiter und zeigt die Unmöglichkeit, diesem Schicksal zu entrinnen: „So wurde ich gemacht, so hat's das Universum geplant“. So macht Malik Keemo weiterhin klar, dass „egal wie viele Alben du droppst, du bleibst ‚im Rude‘“, du kommst hier nicht raus, ein Teil von dir bleibt immer in der Welt zurück, die du so zwanghaft zu verlassen versuchst.“ Getragen wird die Ausweglosigkeit aus der sozialen "Schicht" durch die wiederholte Metaphorik der Hunde.
In der zweiten Hook manifestiert sich der Wusch von Malik, dass Keemo zurück nach Hause in sein Viertel kommt. Malik beschreibt die Aussichtslosigkeit, seinem alten Leben zu entrinnen, und die Antriebslosigkeit, seit Keemo weg ist. Die Gesellschaftskritik, die aus der Geschichte, die OG Keemo erzählt resultiert, beschreibt, dass egal wie sehr man versucht oder es sogar schafft aufzusteigen, man schafft es nie völlig anzukommen und akzeptiert zu werden. Durch die vorgefertigte Rolle aus der das lyrische Du versucht auszubrechen, ergibt sich auch eine Identitätskrise. Keemo schafft es nicht, sein altes Ich vollständig abzulegen und damit in der Erfolgswelt vollständig anzukommen. So transportiert das Storytelling den inneren Konflikt eines Individuums und umschreibt damit die Ungerechtigkeit der Welt. Unterstrichen wird diese durch Identitätskrisen angestoßene Melancholie durch den düstern Sound.
Das Besondere des Albums ist die Deutungsoffenheit der Songs und die damit einhergehende Möglichkeit, seine eigenen Gefühle und Erfahrungen in die Geschichten von OG Keemo einzuflechten. Für mich verdeutlicht der Song den inneren Konflikt, in keiner Welt richtig zuhause zu sein und sich nirgends völlig zugehörig zu fühlen, sich von der alten Welt nie emotional losgelöst zu haben und neue Strukturen nicht als passend für einen selbst zu empfinden.
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